Es ist Draft Week. Zwischen Donnerstagnacht und Samstagabend werden 253 College-Kids ein Zuhause in der NFL finden. Tausende weitere werden nach dem Pick von „Mr. Irrelevant“ hoffen, dass sie dennoch einen Anruf bekommen. Das Zauberwort lautet Undraftet Free Agent. Jedes Jahr füllen die Teams ihren Kader mit Spielern vom Uni-Wühltisch.
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Dabei gibt es immer wieder ungeschliffene Steine, die sich zu echten Diamanten entwickeln. Jüngstes Beispiel ist Cornerback A.J. Bouye, der bei den Houston Texans als Undraftet Free Agent anheuerte und jüngst einen fetten Vertrag (5 Jahre; 67,5 Mio. Dollar) bei den Jacksonville Jaguars unterschrieb.
Einer der bekanntesten der „Ungewollten“ ist zweifelsohne Tony Romo. Der Mann, der trotz Radiogesicht ab sofort im TV zu sehen sein wird, schaffte es von der unbekannten Eastern Illinois University zu einem Superstar bei den Dallas Cowboys. Doch Romo ist nicht die einzige Erfolgsgeschichte dieser Art.
15. These: Manchmal ist die NFL wahrlich blind
Ihr wärt überrascht zu erfahren, wie viele Quarterbacks es tatsächlich von no name zu big fame gebracht haben. Zum Glück habt ihr euren Stolle, der euch auch diese Woche wieder mit gefährlichem Halbwissen die Hirnströme blockiert.
Kurt Warner: Vom Supermarkt zum Superstar
UFA 1994 der Green Bay Packers.
Er ist der Übervater der Übersehenen: Kurt Warner. Zwar durfte er sich direkt nach dem College kurz in der NFL versuchen, doch in Green Bay war hinter Brett Favre, Mark Brunell und Ty Detmer kein Platz für ihn. Anschließend stapelte Warner Klopapier im Supermarkt. Es folgten Abstecher in die Arena Football und NFL Europe. 1998 nahmen ihn die St. Louis Rams unter Vertrag. Nachdem sich der frisch verpflichtete Trent Green in der Preseason schwer verletzt hatte, sprang Warner in die Bresche. Es war der Beginn einer echten Cinderella-Story. Warner warf 4.353 Yards und 41 Touchdown-Pässe und die Rams gewannen den Super Bowl. 1999 und 2001 wurde Warner zum NFL MVP ernannt. Und als alle schon dachten, die Luft sei raus, zeigte er Matt Leinart in Arizona, wie man Football spielt und führte auch die Cardinals in den Super Bowl.
Jon Kitna: Der ewige Underdog
UFA 1996 der Seattle Seahawks.
Wer 42 Touchdowns und 14 Interceptions als Senior am College wirft, den haben die Scouts auf der Rechnung. Denkste! Nicht, wenn man für Central Washington spielt. Keine Sau interessierte sich für Kitna und so plante er bereits ein Leben als Coach. Doch der damalige Coach der Seattle Seahawks, Dennis Erickson, wollte dem „Local Kid“ eine Chance geben. Er unterschrieb also bei seinem „Home Team“ und bekam im folgenden Frühjahr eine Chance in der NFL Europe. Dort führte er die Barcelona Dragons zur Meisterschaft. Seine NFL-Chance kam gegen Ende der Saison 1998, als er Warren Moon als Starter der Seahawks ablöste. Auch in Cincinnati, Detroit und Dallas war er ein solider Starter und hielt den Platz warm für talentierte Youngster. Kitna machte 141 NFL-Spiele (124 Starts) und warf fast 30.000 Yards.
Jake Delhomme: Erst Frankfurt, dann Super Bowl
UFA 1997 der New Orleans Saints.
Wie Kitna bekam auch Delhomme nur eine Chance, weil sein “heimisches” NFL-Team einen Quarterback fürs Camp suchte. Auch Delhomme rockte in Europa. Die New Orleans Saints holten Delhomme und schickten ihn in die NFL Europe. Nachdem er mit Frankfurt den Titel holte, schaffte er es zum Backup der Saints. 2003 ging er nach Carolina und wurde während der Saison zum Starter erhoben. Er führte die Panthers zu ihrer ersten Super-Bowl-Teilnahme und schaffte dort beinahe die Sensation gegen die Patriots. Als Delhomme 2011 seine Cleats an den Nagel hing, hatte er die meisten Fourth Quarter Comebacks der Teamgeschichte (17).
Jeff Garcia: Umweg über Kanada
Undrafted 1994. NFL-Vertrag mit San Francisco 1999.
49ers Fans waren viele Jahre lang verwöhnt, wenn es um die Quarterback-Position ging. 1980 übernahm Joe Montana das Zepter in der Bay Area und führte das Team zu vier Super-Bowl-Siegen. Auf ihn folgte Steve Young, der dem Team einen weiteren Titel bescherte. Dessen Nachfolger war aber alles andere als ein potentieller Superstar: Jeff Garcia. 1994 wurde er trotz starker College-Stats im Draft übergangen. Also zog es ihn nach Kanada. Dort spielte er äußerst erfolgreich und rief so die 49ers auf den Plan. Ex-Coach Bill Walsh hatte gegen Garcia am College gecoacht und war ein großer Fan. Head Coach war Steve Mariucci, der Garcia seinerzeit nach Green Bay holte. Gleich in seiner ersten Saison musste er Young ersetzen. Doch erst 2000 ging sein Stern auf. In diesem und dem nächsten Jahr warf er 63 Touchdowns und nur 22 Picks. Nach einer Schmutzkampagne von Teamkollege Terrell Owens (Auf die Frage, ob Garica homosexuell sei, antwortete dieser: „If it smells like a rat and looks like a rat it is a rat“.) zog es Garcia nach Cleveland. Dort lief es ebenso schlecht wie im Folgejahr in Detroit. Doch Garcia hatte anschließend drei gute Jahre in Philadelphia und Tampa Bay und beendete 2009 seine Laufbahn bei den Eagles. Er warf insgesamt 161 TDs und 83 INTs, dazu noch 111 TDs und 52 INTs in Kanada.
Warren Moon: Eine einzigartige Karriere
Undrafted 1978. NFL-Vertrag mit Houston 1984.
Die späten 1970er Jahre waren für schwarze Quarterbacks immer noch ein Spießrutenlauf in der NFL. Und so verwundert es nicht, dass NFL-Teams Warren Moon mieden. Im 1978er Draft ging er trotz seines Granatenarms und seiner athletischen Fähigkeiten leer aus. Also ging er nach Kanada und holte dort in sechs Jahren fünf Meisterschaften. Plötzlich rannten ihm die NFL-Teams die Bude ein. Er unterschrieb bei den Houston Oilers und gehörte Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zu den besten seiner Zunft. Nach 17 Jahren in der NFL mit Stationen in Houston, Minnesota, Seattle und Kansas City und insgesamt 23 Profijahren beendete Moon seine Karriere mit 44 Jahren. Moon schaffte es schließlich als erster nicht-gedrafteter Quarterback, erster schwarzer Quarterback und erster CFL Hall of Famer in die Pro Football Hall of Fame.
Dave Krieg: Seattles Wunderwaffe
UFA 1980 der Seattle Seahawks.
Seattle hatte ein Talent dafür, nicht-gedraftete Quarterbacks zu Stars zu machen. Da war Kitna, da war Jim Zorn. Und direkt nach dem kam Krieg. Das krasse an Krieg: er spielte an einer Dorf-Uni in Wisconsin, die es heute gar nicht mehr gibt. Er kam 1980 nach Seattle und arbeitete sich Stück für Stück die Depth Chart hoch. 1983 ertrugen die Hawks die immer schlechter werdenden Leistungen von Zorn nicht mehr und ersetzten den einen Undrafted Free Agent durch einen anderen. Krieg dankte dem Team für das in ihn gesetzte Vertrauen mit der ersten Playoff-Teilnahme der Teamgeschichte. Das Vertrauen in Krieg war aber nicht grenzenlos. Zwei Mal draftete Seattle potenzielle Nachfolger. Beide Male (Dan McGuire, Kelly Stouffer) setzte sich Krieg durch. 19 Jahre spielte er insgesamt in der NFL und schaffte es drei Mal in den Pro Bowl.
Schon krass zu sehen, wie oft die NFL-Oberen mit ihren Einschätzungen von Talent danebenlagen. Wenn also euer Lieblingsteam im Anschluss an den Draft noch einen Quarterback von einer kleinen Uni unter Vertrag nimmt, kauft euch am besten schonmal ein Jersey mit dessen Namen drauf…
In diesem Sinne,
Euer Stolle